Vorzeitige Ejakulation (zu schnell kommen) – neue Wege verstehen und gestalten
Viele Männer erleben, dass sie schneller zum Orgasmus kommen, als sie möchten. In der Fachsprache spricht man von vorzeitiger Ejakulation (ejaculatio praecox).
Häufig ist dieses Thema mit Scham verbunden, und nicht selten suchen Betroffene nach einer schnellen Technik oder einem Mittel, um „länger durchzuhalten“.
Doch Sexualität ist komplexer. Vorzeitige Ejakulation ist selten ein rein körperliches Problem – vielmehr wirken Körper, Nervensystem, erlernte Muster und Beziehungsdynamik zusammen.
Warum „zu schnell kommen“ mehr ist als ein körperliches Problem
Vorzeitige Ejakulation beschreibt das Erleben, dass die Ejakulation schneller eintritt, als es für den Betroffenen oder für das Paar stimmig ist. Es gibt keine „exakte Zeitgrenze“ – entscheidend ist das subjektive Empfinden: Es passiert zu früh, und es fühlt sich nicht frei wählbar an.
Die Gründe für vorzeitige Ejakulation können vielfältig sein:
- Körperliche Faktoren: wie Empfindlichkeit oder hormonelle Einflüsse.
- Nervensystem: gerät in eine Übererregung, der Körper entlädt reflexartig.
- Erlernte Muster: frühes Lernen von „schnell kommen“ oder sexuelle Gewohnheiten, die wenig Spielraum lassen.
- Beziehungsdynamik: Erwartungsdruck, Leistungsanspruch oder unausgesprochene Bedürfnisse verstärken die Spannung. Meistens greifen mehrere Faktoren ineinander.
- Das Nervensystem gerät in Übererregung und entlädt reflexartig.
- Wenn Sexualität sehr eng auf „Penis & Penetration“ reduziert wird, steigt der Druck – und die Entladung geschieht schneller.
Neue Impulse für Körper und Nervensystem
- Pendeln: zwischen Anspannung und Entspannung wechseln – bewusst Pausen einbauen, atmen, Rhythmus variieren.
- Frühe Signale erkennen: Kribbeln, Wärme, Spannung – rechtzeitig wahrnehmen und Tempo anpassen.
- Ressourcen nutzen: Berührung am ganzen Körper verteilt die Erregung und macht sie leichter steuerbar.- Wenn der Fokus nicht nur auf den Genitalien liegt, sondern der ganze Körper einbezogen wird, verteilt sich die Erregung und wird regulierbarer.
- Atmung regulieren: Tiefe, ruhige Atmung schafft mehr Raum und Gelassenheit; flache, schnelle Atmung beschleunigt den Orgasmus.
- Bewegung variieren: Monotone, feste Bewegungen steigern die Spannung; Variation und Rhythmuswechsel eröffnen Spielräume.
- Pausen zulassen: Lust entsteht auch in der Unterbrechung. Kurze Stopps oder Rhythmuswechsel können helfen, Spannung zu steuern.
Beziehung und Kommunikation
Sexualität geschieht nie im luftleeren Raum. Erwartungsdruck („Ich muss länger können“), Angst vor Versagen oder fehlende Kommunikation in der Partnerschaft können das Problem verstärken.
Offene Gespräche können entlasten:
- Was ist für beide wirklich wichtig?
- Geht es nur um Dauer – oder auch um Nähe, Spiel, Intimität?
- Welche Alternativen gibt es, um Sexualität zu genießen, auch wenn die Ejakulation schnell kommt?
Fazit
Vorzeitige Ejakulation ist kein persönliches Versagen, sondern ein Zusammenspiel aus Körper, Nervensystem, erlernten Mustern und Beziehungsdynamik. Mit einem erweiterten Blick – körperlich, sexologisch und beziehungsorientiert – kann Sexualität Schritt für Schritt neu gestaltet werden: bewusster, vielfältiger und selbstbestimmter.
Hinweis: Ich befinde mich derzeit in Ausbildung in Somatic Experiencing®. Elemente aus dieser Haltung und diesem Wissen fließen in meine Arbeit ein. Eine SE-Therapie im engeren Sinn biete ich noch nicht an.